
Die King's Bay an der Mündung des Crystal River ist eine wunderschöne, von breiten, glitzernden Wasserflächen und kristallklaren Süßwasserquellen durchzogene Mangrovenlandschaft — mit einer unwiderstehlichen Attraktion: Manatees. Hier möchte ich die sanften Riesen hautnah erleben und melde mich bei Bird‘s Underwater zum "Swimming with Manatees" an. Unsere kleine Gruppe sticht in See. Bootsführerin Rhonda weiß genau, wo wir sie finden können. "Auf Wirbel achten", rät sie, und "ab und zu ist auch eine Schnauze zu sehen". Es ist 6 Uhr früh und unser Boot tuckert langsam in den Sonnenaufgang. Ob wir Glück haben werden? Es ist August und normalerweise kommen die großen Säugetiere nur in den Monaten Oktober bis März zu den warmen, flachen Gewässern des quellgespeisten Crystal River. Die sanften Riesen lieben drei Dinge: schmusen, fressen und ausruhen. Sie wiegen zwischen 500 und 1000 Kilogramm, verzehren 40 Kilo Seegras pro Tag und sind mit dem Elefanten verwandt. Und sie haben nur einen natürlichen Feind: den Menschen und sein Motorboot. Weil Manatees so dicht unter der Wasseroberfläche schwimmen, werden ihre Rücken regelrecht aufgeschlitzt. Hinzu kommt, daß ihre Knochen so brüchig wie Porzellan sind, denn sie haben kein Knochenmark. Die zunehmende Besiedlung ist ein weiterer Risikofaktor. Jedes Grundstück an den kammartig angelegten Kanälen hat einen Pool, einen Bootszugang, man benutzt Mosquitospray und Dünger — längst ist der größte Teil des Flusses durch Nährstoffe und exotische Algen trübe. Nur noch 1000 dieser gutmütigen Tiere gibt es in Florida — und in 22 Schutzgebieten haben sie Vorfahrt, hier dürfen Motorboote nur im Schrittempo fahren. Wie im weitverzweigten Strom des Crystal River, wo Rhonda, die offenbar mit einem siebten Spürsinn für Manatees ausgestattet ist, den Motor abgestellt und den Anker gelegt hat. In einen Taucheranzug gezwängt, eine Schnorchelbrille auf dem Kopf, gleite ich so leise wie möglich ins Wasser. Ich sehe Wasserpflanzen, kleine Fische — sonst nichts. Rhonda holt den Anker wieder ein und wir starten 300 Meter weiter einen neuen Versuch. Nun sehe ich sie auch, die Wirbel, die behaarten Schnauzen. Wieder gleite ich in das Wasser und bereits nach wenigen Metern höre ich ein unglaublich geräuschvolles Mampfen neben mir. Eine Schrecksekunde später drehe ich mich um und sehe einen dunklen Schatten, mit zwei kräftigen Armzügen ist meine erste Seekuh direkt vor mir. Sie ist wunderschön! Dieser unförmig wirkende Körper strahlt Würde aus, Stärke und gleichzeitig Zärtlichkeit. Ich strecke die Hand aus und kratze sie ein wenig unter der Vorderflosse. Rhonda hat nämlich empfohlen lieber zu kratzen, denn streicheln merken die Dickhäuter nicht. Und was macht mein Manatee? Vollzieht mit dem massigen Körper eine abrupte Wendung, schaut mich aus kleinen Äuglein an und schwimmt dann seitwärts mit mir weiter. Dabei bewegt sie eine Flosse als fordere sie mich zu weiteren Berührungen auf. Ich bin dermaßen ergriffen, daß mir fast die Luft wegbleibt. Ich kraule sie nun am Hals, an der weichen Schnauze, an der Schulter — dann sehe ich drei langgestreckte weiße Narben auf ihrem Rücken, zweifellos von einem Motorboot stammend. Die Seekuh aalt sich, genießt meine Gegenwart, und ich kann mich kaum losreißen. Doch die Gruppe der Manatees zieht weiter. Ich tauche auf und teile meine Erlebnisse mit den anderen. Nach drei bewegenden Stunden holt Rhonda den Anker ein und wir kehren erschöpft aber glücklich zum Dock zurück.
Internet:
www.birdsunderwater.com